Leid mindern, wo immer es geht

Behandlungsfehler zu machen, fühlt sich schlimm an. Leider wird noch lange nicht in allen Kliniken ein sinnvoller Umgang mit Fehlern gelebt.

Vor einigen Monaten traf ich einen langjährigen Bekannten auf einem chirurgischen Kongress. Nachdenklich lehnte er in einer Pause an einem der Stehtische und hielt sich an einer Tasse Kaffee fest. Ich stellte mich zu ihm und fragte ihn, wie es ihm gehe. Er meinte: „Naja. Ich bin etwas nachdenklich. Nein. Eigentlich bin ich wütend. Meine Tochter studiert Medizin und will Chirurgin werden. Sie hat vor Kurzem einen Vortrag über Fehlermanagement gehört und mich gefragt, was ich ihr raten würde, wie sie damit umgehen sollte, wenn sie bei ihrer Arbeit einen Fehler machen würde. Leider fällt mir die Antwort nicht leicht.“

Was also können Ärzte angehenden Medizinern antworten, die fragen, wie sie gut mit eigenen Fehlern umgehen? Einerseits ist es völlig klar, wie in einer heilen Welt ein guter Umgang mit Fehlern funktioniert: Zugeben und daraus lernen – so viel und so intensiv wie möglich, auf allen Ebenen der Klinik. Das ist gut für alle, auch für die betroffenen Ärzte. Andererseits ist die Welt oftmals alles andere als „heile“. Betroffene werden mitunter auf Doppelbödigkeit und Unfug treffen.

Und das ist richtig ärgerlich. Denn die Generation, die jetzt die Realität gestaltet, weiß, wie sie einen guten Umgang mit Fehlern umsetzen kann und wie wichtig das für Patienten, Mitarbeiter, Gesellschaft und den Fortschritt ist. Es gibt Bücher und Artikel darüber, Studien, Erfahrungen – man muss diese nur aufmachen und nachlesen. Einfacher geht’s nicht. Dennoch haben die jetzt Handelnden es noch nicht geschafft, die Dinge so zu richten, dass die nächste Generation bei ihrem Start ins Berufsleben ausreichend gute Bedingungen vorfindet, um das zu tun, was offensichtlich das Richtige ist.

Fehler zu machen, fühlt sich schlimm an. Vor allem dann, wenn ein Patient zu Schaden gekommen ist. Das will kein Mensch. Und dennoch passiert es. Doch dreht sich einem der Magen um bei der Vorstellung, was einer jungen Ärztin geschieht, wenn genau das in der falschen Umgebung passiert – sie muss damit leben, dass sie Leid produziert hat und wird, wenn sie Pech hat oder zu naiv ist, dafür auch noch hart abgestraft. Also: Was ist der jungen Ärztin zu raten?

Die zusammengefassten Grundlagen: Durch einen Behandlungsfehler entsteht umso mehr Leid, je unprofessioneller der Fehler verarbeitet wird. Eigene Behandlungsfehler produzieren Krisen. Es macht viel Sinn, Krisen mit sinnvollen Strategien anzugehen. Das Ziel muss es sein, Leid zu mindern, wo immer es geht.

Guter Umgang mit eigenen Behandlungsfehlern

Wie Ärzte in fünf Schritten gut mit eigenen Behandlungsfehlern umgehen können:

1. Schritt: Hilfe für den Betroffenen

Zuerst sollten die notwendigen medizinischen und pflegerischen Schritte eingeleitet werden, um dem betroffenen Patienten zu helfen. Als nächster Schritt macht ein Gespräch mit dem Patienten und dessen Familie Sinn. Anleitungen zum professionellen Gespräch mit Patienten im Schadensfall finden sich viele, zum Beispiel auf der Website der Stiftung Patientensicherheit Schweiz (www.patientensicherheit.ch: Kommunikation mit Patienten und Angehörigen nach einem Zwischenfall). Besser und hilfreicher ist es, die Kommunikation im Schadensfall in guten Zeiten in einem Seminar einzuüben. In Krisen greifen Menschen auf das zurück, was sie gelernt haben. Es macht Sinn, für diesen Fall Techniken parat zu haben.

2. Schritt: Handlungsfähig bleiben

Ein guter Umgang mit sich selbst hilft, handlungsfähig zu bleiben und Unfug zu vermeiden. Ein Gespräch mit einem Vertrauten hilft, stabil zu bleiben oder zu werden. Dabei ist Naivität unbedingt zu vermeiden. Nicht jeder, der freundlich wirkt, ist freundlich. Idealerweise überlegt man sich in guten Zeiten, mit wem genau man in diesem Fall das Gespräch suchen wird. Keine: Schuldeingeständnisse, Selbstvorwürfe, Schuldverschiebungen, Beschimpfungen, Wutausbrüche, Drogen, ein Übermaß an Schokolade, das 30. Paar Schuhe, die schon lange fällige Prügelei mit dem arroganten Kollegen. Wer in Gefühlen „schwimmt“, für den ist es manchmal viel besser, erst einmal nichts zu machen und zu warten, bis die Sicht wieder klarer wird. Das gilt natürlich nicht für die Ableitung notwendiger medizinischer Maßnahmen.

3. Schritt: Gespräch mit dem Vorgesetzten

Als nächster Schritt ist es wichtig, das Gespräch mit einem Vorgesetzten zu suchen und gemeinsam mit ihm gegebenenfalls zeitnah die Versicherung einzubinden.

4. Schritt: Eine gute Lösung finden

Nun ist es Zeit, eine gute Lösung zu finden. Die Probleme des Patienten und seiner Angehörigen sollten so weit wie möglich gelöst werden. Auf ihrem Weg sollte die Familie begleitet werden.

5. Schritt: Aus dem Fehler lernen

Dann ist es an der Zeit, aus dem Fehler zu lernen. So viel und so konsequent wie möglich. Der Lerneffekt ist der „Schatz“, der aus der Katastrophe gerettet werden kann. Je nach Situation im jeweiligen Haus: Allein oder viel besser: gemeinsam mit dem Team. Was hilft, ist das „London Protokoll“, eine Anleitung zur Systemanalyse kritischer Zwischenfälle.

Ratsam ist, das London Protokoll in guten Zeiten aus dem Internet herunterzuladen und sich mit den Inhalten vertraut zu machen. Spätestens dann wird klar, dass Fehler immer lange Vorläufe haben und in Organisationen auf vielen Ebenen angegangen werden müssen. Es wird klar, dass nie nur eine Person allein „schuld“ ist. Das entlastet zunächst einmal die Seele. Im London Protokoll werden mehrere Ebenen genannt, auf denen Fehler oder deren Entstehen gefördert oder gebremst werden können. Sammelt man Faktoren, die im individuellen Fall den Fehler mit beeinflusst haben, entsteht daraus eine Vielzahl von Ideen, wie man einen Fehler wie den vorliegenden nachhaltig vermeiden kann. Das ermöglicht stabile und wirksame Lerneffekte. Und dieses Lernen ist der „Schatz“, den Ärzte letztendlich auch aus der Situation in die Zukunft mitnehmen können.

Eine Idee zum Abschluss: Es ist gut, sich einen Arbeitgeber zu suchen, bei dem ein lebendiges Fehlermanagement dafür sorgt, dass alle mit Fehlern professionell und konstruktiv umgehen. Oder aber man wird gleich selbst ein solcher Arbeitgeber. Es lohnt sich!

Erstmals veröffentlicht im Deutschen Ärzteblatt I Heft 50 I 15. Dezember 2017

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