Sie gehören zu den ungeliebten Kindern vieler QM-Systeme: interne Audits. Dabei sind sie bestens geeignet, näher an das heranzukommen, was in den Abteilungen wirklich abläuft.
Vor einigen Jahren saß Schwester Monika in der kleinen Küche der chirurgischen Abteilung eines großen Klinikums, ihren Kopf stabil in den Händen, eine Tafel Schokolade fest im Blick. Da ich sie als dynamische junge Frau kannte, setzte ich mich zu ihr. „Ach Sie sind’s“, sagte sie, „ich bin völlig genervt.“
Seit einem Jahr war Schwester Monika Teil des QM-Teams der Klinik. Als clevere Kollegin wurde sie schnell zur internen Auditorin benannt. Das System der internen Audits im Hause fußte auf Excel-basierten Checklisten. Sie erhielt eine Liste von 30 Fragen, die sie in Gesprächen mit Kollegen durchzugehen hatte. Schon die Versuche, in den Abteilungen Termine dafür zu erhalten, liefen zäh. Es gelang ihr, ihren Kollegen Peter aus der internistischen Abteilung festzunageln. Nach 20 Minuten war das Gespräch vorbei, an allen Fragen auf der Liste war ein Haken für „liegt vor“. Peter kannte Monika privat und traute sich, offen mit ihr zu sprechen. „So, jetzt weißt du, dass wir einen Hygieneplan haben, es Fortbildungen gibt und wir ein Formular für die OP-Anmeldung haben. Ganz echt, das hast du doch vorher auch schon gewusst, oder?“
Diese Erfahrung wiederholte sich in Varianten in allen fünf internen Audits, zu denen Monika verpflichtet worden war. Nachdem sie mir die Situation geschildert hatte, meinte sie: „Wissen Sie Frau Schuster, ich habe mich richtig reingehängt, aber gebracht hat es gar nichts. In der internistischen Abteilung gibt es ein Problem mit den Absprachen mit den Funktionsabteilungen. Doch das ist gar nicht rausgekommen bei den Audits. Wozu machen wir das dann?“ Wir saßen an diesem Tag ein wenig länger in der Küche. Danach führte Schwester Monika erneut ein paar Gespräche.
Der Weg eines tragfähigen Befundes
Der Weg, in einem internen Audit einen tragfähigen Befund zu erheben, geht immer vom sogenannten Ergebnisaudit über ein Prozessaudit und findet mit einem Systemaudit seinen Abschluss. Zunächst betrachtet man die Ergebnisse eines Ablaufs (Ergebnisaudit). Stellt man dabei Schwierigkeiten fest, schaut man sich als Nächstes den Ablauf selbst an (Prozessaudit). Wenn man feststellt, dass es Schwierigkeiten im Prozess gibt, ist der nächste Schritt sich anzuschauen, wer die Abläufe konzipiert und wie dies erfolgt (Systemaudit). Tragfähige Befunde in internen Audits ergeben sich immer auf Ebene des Prozesses oder Systems.
Monika wusste aus Unterhaltungen beim Rauchen, dass die Mitarbeitenden der internistischen Abteilung immer wieder Patienten in die Radiologie schickten, die unverrichteter Dinge zurückkamen. Das kostete Zeit und Nerven. Sie startete ihr Audit auf der internistischen Abteilung neu. Zehn Tagen lang ging sie am Ende ihrer Schicht jeden Tag bei den Kollegen vorbei und fragte sie, wie viele Patienten am jeweiligen Tag unverrichteter Dinge wieder aus der Radiologie zurückgekommen waren oder notfallmäßig im Hauruckverfahren dorthin transportiert werden mussten, weil sie dort eingeplant waren, obwohl dies auf der Station nicht bekannt war. Das Ergebnis: Täglich waren fünf bis sieben unnötige oder ungeplante Transporte in die Radiologie zu verzeichnen. Teilweise starteten Patienten mehrmals am gleichen Tag. Monika erhielt von den Kollegen die Namen und Uhrzeiten der Transporte, ihre Daten waren hieb- und stichfest. Ihr „Projekt“ sprach sich schnell im Team der internistischen Abteilung herum. Ab dem vierten Tag wartete einer der Kollegen am Abend bereits auf sie und meinte: „Hey Moni, danke dass du das machst. Schau mal, das ist die Liste von heute … “
Monika fasste die Ergebnisse ihres ersten Ergebnisaudits in einen Bericht und schickte diesen zum QM-Team und band den Chefarzt der internistischen Abteilung in den Verteiler ihrer Mail ein. Ihre Bitte, an der Sache dranbleiben zu dürfen, wurde positiv aufgenommen und sie startete Phase 2, das Prozessaudit.
Prozess- und Systemaudit
Gemeinsam mit Peter sichtete sie alle Prozessbeschreibungen, die um die Anmeldung der Patienten in der Radiologie existierten. Das Ergebnis war ernüchternd. Es gab kein einziges Vorgabedokument, wie Patienten dort angemeldet werden sollten. Also schauten sich die beiden an, wie die Anmeldung im Alltag ablief. Die Mitarbeitenden der internistischen Abteilung riefen die Kollegen in der Radiologie an, baten die Mitarbeitenden vom Transportdienst, Termine zu vereinbaren oder schickten eine Mail. Interessanterweise hatte kaum einer der Mitarbeitenden der Radiologie Zugriff auf die Mailadresse, die dazu verwandt wurde. Rückmeldungsprozesse darüber, ob ein Termin vereinbart war oder nicht, gab es nicht. Es schien, als brauche es viel Glück, damit ein Patient einen Termin in der Radiologie bekam und die Station davon erfuhr.
Motiviert von diesen Ergebnissen und dem Zuspruch der Kollegen, auch aus der Radiologie, erweiterten Peter und Monika den Fokus ihrer Audits und schauten sich das Umfeld des fraglichen Ablaufs an. Es gab eine Vielzahl an Gründen, warum der Ablauf nicht strukturiert war. Dazu gehörte zum Beispiel die mangelnde Verfügbarkeit von Zugängen zum PC in beiden Abteilungen, ein überbordendes QM-System und eine nicht existierende Fehlerkultur. Stärkster Treiber für das Aufrechterhalten des schlecht konzipierten Ablaufs war jedoch ein Konflikt zwischen den Stationsleitungen beider Abteilungen, der seit Jahren lebte. Monika fasste die Resultate ihres Audits in einen Bericht, der neben einigen Stärken eine Liste von 38 Verbesserungspotenzialen umfasste. Der Aufruhr in der Klinik war groß.
Neues Konzept für die Patientenanmeldung
Eine Zeit weitreichender Veränderungen folgte. Die Stationsleitungen wurden gebeten, sich im Rahmen einer Mediation wieder anzunähern. Als dies scheiterte, wechselten beide den Arbeitgeber. In vielen Projekten wurde der Ablauf der Patientenanmeldung in der Radiologie neu konzipiert. Die EDV-Abteilung wurde eingebunden. Dort war das Problem bekannt, das Team freute sich, dass es nun vorwärtsging. Als der Prozess funktionierte, machte sich Monika daran, die anderen Baustellen anzugehen.
Vor einigen Tagen traf ich Schwester Monika auf einem Kongress wieder. Sie kam lachend auf mich zu und sagte: „Ich soll jetzt das Risikomanagement in unserer Klinik übernehmen. Ich schätze, das wird Folgen haben …“
Erstmals veröffentlicht im Deutschen Ärzteblatt I Heft 44 I 1. November 2019