Der erste Schritt zu einem guten Rückmeldegespräch ist immer zu klären, was genau man erreichen will. Wichtig ist dabei, das Ziel klar zu formulieren und festzulegen.
Vor vielen Monaten traf ich vor dem Haupteingang einer Klinik Herrn Schmidt, den Oberarzt einer chirurgischen Abteilung. Er trat auf mich zu und meinte: „Na Frau Schuster, rauchen Sie eine mit mir?“ Wir schlenderten ums Eck. „Ich komme grade aus der Visite; unser neuer Assistenzarzt Herr Müller geht mir auf die Nerven. Ich stand heute fünf Minuten neben ihm. Er riecht so schlecht, dass ich versucht war, drei Schritte Abstand zu nehmen. Was mach ich denn? Ich kann ihm doch nicht sagen, dass er sich vor dem Dienst duschen soll!“ Ich fragte ihn, was er bei dem Kollegen erreichen wolle. „Zum einen möchte ich, dass er gepflegt und anständig riechend zum Dienst kommt. Und ich möchte, dass aus ihm was wird. Im Grunde kann er was.“
Schritt 1: Klären, was genau das Ziel ist
Zunächst gilt es zu klären, was genau man erreichen will. Wichtig ist dabei, dass das Ziel klar formuliert ist. Auch macht es Sinn, im Blick zu behalten, dass das menschliche Gehirn die Tendenz hat, „Negationen“ zu überhören. Das sind in diesem Fall all die Dinge, die nicht mehr vorkommen sollen.
Schritt 2: Den Kopf zur Ruhe bringen
Nachdem klar war, wo es mit Herrn Dr. Müller hingehen sollte, fragte ich Dr. Schmidt: „Wie geht’s Ihnen mit der Idee, mit Dr. Müller darüber ein Gespräch zu führen?“ Er schnaufte aus. „Das Thema ist mir peinlich. Wenn der bei einer OP einen Fehler macht, kein Problem, damit kann ich umgehen. Aber schlechter Körpergeruch?“ Entsetzen schlich sich auf seine Mine. Ich fragte ihn: „Was wäre, wenn Sie die Sache gar nicht angehen?“ Er antwortete: „Dann verlieren wir ihn. Die Kollegen finden einen Weg, um ihn aus dem Team rauszubekommen. Das wird ein Drama mit üblem Ende. Das hat der Kollege nicht verdient, und gute Ärzte wachsen nicht auf Bäumen. Ich befürchte, ich muss mich um die Sache kümmern. Aber wie bekomme ich das hin?
Beim Führen von Rückmeldegesprächen ist es wichtig, die eigenen Gedanken zur Ruhe zu bringen und den Fokus der Aufmerksamkeit auf das Gegenüber zu richten. Es geht nicht um denjenigen, der die Rückmeldung gibt, sondern um denjenigen, der die Rückmeldung erhält. „Bringen Sie Ihren Kopf zur Ruhe und konzentrieren Sie sich auf Dr. Müller“, sagte ich. „Das sorgt dafür, dass Sie sich nicht selbst im Wege stehen oder sich von Ihrer Unsicherheit leiten lassen.“
Schritt 3: Klären, was beim anderen los ist
Um ein wirksames Rückmeldegespräch zu führen, macht es Sinn zu klären, was beim Gesprächspartner aktuell los ist. Hilfreich sind einfache, offene, idiolektische Fragen wie: „Danke, dass Sie sich Zeit nehmen. Wie geht‘s Ihnen denn?“ Oder: „Wie kommen Sie bei uns zurecht?“ Wenn es um wichtige Themen oder Menschen geht, kann es erhellend sein, für eine gewisse Zeit einfach mal zuzuhören, dem anderen Platz zu lassen und sich eine Idee darüber zu verschaffen, wie die aktuelle Lebens- oder Arbeitssituation des anderen gerade ist. Häufig stellen sich dann Situationen ganz anders dar als gedacht und es finden sich Ansätze, etwas zu verbessern. Natürlich kostet das zunächst Zeit. Doch auf lange Sicht werden Rückmeldegespräche damit effektiver, da man gemeinsam tragfähige Strategien erarbeiten kann. Auch vermeidet man erfahrungsgemäß Kränkungen.
Dr. Schmidt folgte diesem Rat. Er setzte sich in einer ruhigen Minute zu Herrn Dr. Müller und begann mit ihm zu plaudern. Dieser erzählte: „Im Grunde geht es mir gut. Ich habe das Gefühl, mit den Patienten gut zurechtzukommen. Was mich belastet ist, dass meine Kinder und meine Frau noch weit weg sind. Wir haben hier noch keine Wohnung und ich bin während der Dienste hier in einer Pension. Außerdem ist es schwierig, am Wochenende alles nachzuholen.“ Sein Chef nutzte dies, um eine offene, ressourcenorientierte Frage zu stellen: „Wie schaffen Sie das denn alles?“ Dr. Müller antwortete: „Naja, es muss ja gehen. Irgendwie geht’s ja immer.“ Im Verlauf des weiteren Gespräches wurde klar, dass die Ehe des Kollegen ernsthaft am Wackeln war, was Herrn Dr. Müller, der sehr an seiner Familie hing, deutlich belastete.
Schritt 4: Konfrontation mit der Wirklichkeit
Wenn bekannt ist, wie die Situation des Gesprächspartners ist, kommt die entscheidende Phase: eine kurze, klare Rückmeldung, gefolgt von der Erarbeitung einer tragfähigen Strategie. Eine ausführliche Einleitung wie die folgende nützt gar nichts, fühlt sich für das Gegenüber aber furchtbar an: „Also, es tut mir wirklich leid, Ihnen das jetzt sagen zu müssen. Und ich hoffe inständig, Sie nehmen mir das nicht böse. Ich meine es ja nur gut mit Ihnen. Aber wenn ich es Ihnen nicht sage, ist Ihre ganze Karriere gefährdet. Und wie gesagt, es geht mir nur darum, dass Sie gut bei uns ankommen.“
Besser ist es, die Dinge schnell zur Sprache zur bringen und den Kollegen liebevoll mit der Wirklichkeit zu konfrontieren:
- Beschreibung der Situation: „Oh je, da stecken Sie in Schwierigkeiten. Ergänzend dazu ist mir aufgefallen, dass Sie in den letzten Tagen im Dienst mit recht ungepflegten Kleidern erschienen sind. Außerdem stand ich in der Visite drei Meter neben Ihnen und konnte Sie riechen.“
- Formulierung des Ziels: „Es wäre mir wichtig, dass Sie mit gepflegter Kleidung und geduscht zur Arbeit kommen.“
- Erarbeitung einer tragfähigen Strategie: „Was könnten Sie denn tun, dass dies möglich ist?“ Erwartungsgemäß wurde Dr. Müller zunächst rot und fing an zu stottern. „Oh, das tut mir leid. Ich fürchte, ich habe mich in letzter Zeit hängen lassen. Ich werde mich zusammenreißen.“
Nachdem die Angelegenheit formuliert war, nutzte mein Kollege die Chance, mit seinem Assistenzarzt im Gespräch zu bleiben. Es kam heraus, dass Dr. Müller aufgrund der emotionalen Belastung an den Abenden deutlich mehr Alkohol trank, als ihm zuträglich war. Der morgendliche Kater sorgte für einen Schnell-start am Morgen, mit den bekannten Folgen. In der Folgezeit half Dr. Schmidt seinem Mitarbeiter, eine gute Wohnung in der Region zu finden. Dr. Müller erschien top gepflegt zur Arbeit und schaffte es, seine Ehe zu retten.
Vor wenigen Tagen traf ich Dr. Schmidt wieder. „Wissen Sie, was Frau Schuster, unser Dr. Müller hat mir heute in einer fachlichen Sache richtig gut Paroli geboten. Und vorgestern hat er einen Konflikt unter den Kollegen elegant entschärft, indem er alle zum Lachen brachte. Was für ein Jammer wäre es gewesen, wenn wir ihn verloren hätten!“
Erstmals veröffentlicht im Deutschen Ärzteblatt I Heft 44 I 1. November 2019