Klarheit über gemeinsame Ziele, der Blick aufs große Ganze und die Konzentration auf maximal drei Themen gleichzeitig: All das hilft, schnell und sicher gemeinsam Erfolge zu erzielen.
Vor einigen Jahren traf ich den Oberarzt einer gynäkologischen Abteilung. Er saß schweigend in der Küche vor einer Tasse Kaffee, sah mich an und sagte: „Ah, Sie sind’s!“ Dann blickte er wieder versonnen in seine Tasse. Ich wärmte mir die Hände an einer Tasse und brummte „Hmh ….“ Wir schwiegen einige Minuten, dann meinte er: „Ich habe grade ein ganz blödes Gespräch hinter mir. Eine Patientin hat mir berichtet, dass die Hebammen und auch das ärztliche Team immer wieder unfreundlich seien. Dazu kommt, dass ich mich in letzter Zeit oft sehr geärgert habe. Die Mitarbeiter funktionieren nicht richtig, es geht viel durcheinander. Dabei sag ich denen doch schon immer, dass sie sich zusammenreißen sollen. Haben Sie eine Idee, was ich noch tun kann?“
Ich fragte ihn, was er mit seinem Team denn gerne erreichen würde. Er sagte: „Na ja, dass alles besser läuft. Und dass unsere Patientinnen die Klinik zufrieden verlassen.“ Daraufhin fragte ich ihn, was denn konkret besser laufen solle. Er meinte aufgeregt: „Zum Beispiel, dass alle weniger durcheinanderrennen, wenn viel Arbeit ansteht.“ Ich setzte fort: „Sie sagen, Ihr Team soll nicht durcheinanderrennen. Was soll es denn stattdessen tun?“ Er kratzte sich nachdenklich am Bart. „Das ist eine gute Frage. Da muss ich jetzt mal drüber nachdenken.“
Schweigend schauten wir in unsere Tassen. Nach einiger Zeit sagte er: „Das ist ein blödes Problem. Ich für mich habe einige Ideen. Aber ich führe den Laden ja nicht allein. Da gibt es noch den Chefarzt, die Stationsleitung und die leitende Hebamme. Jetzt, wo Sie mich so fragen, muss ich zugeben, dass wir uns noch nie darüber unterhalten haben, was jeder von uns konkret an Vorstellungen oder Erwartungen an die Mitarbeiter hat. Ich befürchte, das ist unser Anteil an der Misere, oder?“ An dieser Stelle konnte ich nur nicken. Als unsere Tassen leer waren, stand er auf und sagte: „O. k., dann gehen wir’s mal an.“
Tief greifender Veränderungsprozess
Danach startete er einen tief greifenden Veränderungsprozess. Er suchte jedes Mitglied des Führungsteams auf und schilderte seine Beobachtung. Er machte klar, dass er keine Lust mehr habe, auf diese Weise unkoordiniert vor sich hin zu arbeiten und dass er sich wünsche, dass das vierköpfige Führungsteam auch als Team funktioniere. Interessanterweise stieß er bei den drei Kollegen auf offene Ohren.
Sie arbeiteten in etlichen Sitzungen heraus, wer was von wem im Team erwartete und stellten eine Liste mit Ideen zur Verbesserung zusammen („Jeder Mitarbeiter, der neu in ein Patientenzimmer kommt, sollte sich mit Namen vorstellen“, „Sabine sollte auf der Arbeit motivierter wirken“,…). In kürzester Zeit kamen etwa 50 Punkte zusammen. Allen war klar, dass die Zufriedenheit der Mitarbeiter schnell in den Keller gehen würde, wenn man alles gleichzeitig angehen würde. Die Stimmung war im Keller, der Verbrauch an Schokoladenkeksen während der Sitzungen stieg. In einem zweiten Schritt sammelten sie die Stärken und Kompetenzen ihrer Mitarbeiter. Es kamen noch mehr Punkte zusammen und es wurde klar, dass einige Mitarbeiter Dinge gut beherrschten, die andere lernen mussten. Dazu konnte sich das Führungsteam Hilfe holen. Nun stieg die Stimmung wieder und die anstehenden Aufgaben wirkten zunehmend, als wären sie zu bewältigen.
Gemeinsamer Blick auf das große Ganze
Nun legte sich das Führungsteam auf drei konkrete Dinge fest, die es zunächst in den Fokus nehmen wollte. Dazu gehörte, dass sich die Mitarbeiter mit Namen vorstellen sollten, wenn sie das erste Mal mit einer Patientin arbeiteten. Das Führungsteam sprach das Thema in einer Besprechung an und fragte regelmäßig bei den Mitarbeitern nach, wie gut das klappe. In der Folge entstand eine Dynamik, die auch das Führungsteam überraschte. Dadurch, dass es Freundlichkeit aktiv einforderte, gaben Mitarbeiter verschiedene Hinweise, was noch verbessert werden könne. Eine Mitarbeiterin kam mit der Situation, plötzlich konkret gefordert zu werden, nicht klar und verließ die Abteilung. Interessanterweise wurde die Stimmung im Team plötzlich besser. Eine Kollegin holte eine Bekannte ins Team, von der sie wusste, dass sie die neue Führungsphilosophie begeistern würde. Abläufe wurden auf den Prüfstand gestellt, neu entwickelt, überarbeitet und nach einiger Zeit zur Routine. Das Führungsteam begleitete den Prozess, gab die Richtung vor und sprach sich in dieser Zeit engmaschig ab, wer welche Führungsaufgabe übernimmt.
Kommunikatives Ping-Pong-Spiel
Im Laufe der Zeit entstand das kommunikative Ping-Pong-Spiel erfolgreicher Führungsteams: Ein Kollege bat zum Beispiel eine Mitarbeiterin, sich, wann immer möglich, auf Augenhöhe mit dem Kind zu begeben, wenn sie mit einem der anwesenden Geschwisterkinder plaudern würde („Ping“). Ein anderer Kollege konnte sehen, wie die Mitarbeiterin genau das tat und lobte sie dafür („Pong“). Eine Mitarbeiterin war dafür bekannt, beim Thema Hygiene und der Kommunikation hygienerelevanter Inhalte sehr geschickt zu sein. Sie wurde gebeten, während der Arbeitszeit darauf zu achten, dass Anforderungen wie Händehygiene gut umgesetzt wurden. So wurde sie im Grunde zum verlängerten Arm des Führungsteams. Bald darauf wiesen die Mitarbeiter auch ihre Vorgesetzten darauf hin, wenn sie vergessen hatten, die Hände zu desinfizieren. Das Führungsteam machte „Pong“ zum „Ping“, lachte, bedankte sich bei den Mitarbeitern und desinfizierte künftig noch konsequenter die Hände.
Gemeinsam führen macht stolz und Spaß
Drei Jahre später trifft sich das Team nach wie vor regelmäßig zur Führungsbesprechung. Inzwischen ist viel Ruhe eingekehrt, die Abläufe sind stabil, die Mitarbeiter stehen hinter der Abteilung. Schaut man in die Onlinebewertungen der Patientinnen, loben diese neben der guten Organisation den freundlichen Ton.
Doch alle sind sich einig, dass regelmäßige Absprachen weiterhin unverzichtbar sind. Alle vier Mitglieder berichteten mir, dass der Prozess zu Beginn anstrengend war, er sich aber sehr gelohnt habe. Alle berichteten, dass sie währenddessen viel über sich und die anderen gelernt hätten und sie stolz auf das Erreichte seien. Und alle beteuerten, bei der Arbeit im Team erheblich mehr Spaß zu haben, als allein vor der großen Aufgabe Führung zu stehen. Eigentlich ist es ganz einfach – und lohnt sich.
Erstmals veröffentlicht im Deutschen Ärzteblatt I Heft 50 I 15. Dezember 2017